Vom Boxeraufstand zur Kaiserstrasse

Von den Boxeraufständen aus China heimkommend, gefiel es Robert Hochdanz so gut im aufstrebenden Bremerhaven, dass er beschloss, hierzubleiben. Aus Weimar holte er seine zukünftige Ehefrau Margarete und gründete eine Familie. Er erwarb zwischen dem heutigen Waldemar-Becke-Platz und der Pestalozzistraße Gelände und eröffnete 1902 die Firma Hochdanz, Anlagenbau. Mittlerweile wurde das Gebiet urbar gemacht, und Gewächshäuser wurden errichtet. 1906 blühte zum ersten Mal der Rosengarten Hochdanz auf dem heutigen Waldemar-Becke-Platz. Die Geschäfte gingen gut, und die Firma freute sich über den Auftrag, die Außenanlagen am neugebauten Hauptbahnhof in Geestemünder anlegen zu dürfen. Außerdem wurde in der Kaiserstrasse Nr. 1 die Blumenhalle Hochdanz eröffnet.

Die Familie hatte sich inzwischen in dem neu errichteten Haus in der Kaiserstrasse Nr. 20 eine Wohnung eingerichtet. Der Hinterhof durfte als Lager benutzt werden. Hier standen Lorbeerbäume, die zu besonderen Anlässen gemietet wurden.

In der Kaiserstrasse 20 wurde 1906 der einzige Sohn von Robert Hochdanz geboren. Albert verlebte dort eine glückliche Kindheit. War er im Winter im Blumenaden der Eltern, freute er sich, wenn die Straßenbahn mal wieder aus der eingefroren Weiche sprang. Überglücklich war der Knabe, als er dem im Auto vorbeifahrenden Kaiser Wilhelm zuwinken konnte.

„Fritzi“, das Pferd der Firma, stand immer vor der Tür, abfahrbereit mit eingespanntem Wagen. Wenn es Feierabend wurde, bekam „Fritzi“ noch einem Eimer Wasser und anschließend einen Klaps aufs Hinterteil. Fuer das treue Tier war dies das Zeichen, in den Stall bei den Blumenplantagen zu trotten.

Einige Jahre später sollte in der Kaiserstrasse Nr. 3 das Haus verkauft werden, und Hochdanz beschloss, mit einem Bekannten anteilig das Haus zu erwerben. Hierhin zog nun die Blumenhalle. Aber das Miteigentum war nicht der einzige Grund für den Umzug. Lange vorher wurde dem Firmeninhaber klar, dass er aus der Kaiserstrasse Nr. 1 ausziehen musste, denn die Südseite des Ladens wirkte sich ungünstig auf die Waren aus.

1929 veräußerte Robert Hochdanz die Blumenplantagen: Es entstand der heutige Waldemar-Becke-Platz, der zu dieser Zeit Ebertplatz hieß.

Robert Hochdanz verstarb 1931, und der Blumenladen neben dem Frisör Ewers wurde fortan von seinem Sohn weiter geführt.

 

Das Zollhäuschen an der Schleusenstraße

Wenn der Onkel mit dem Schiff im Neuen Hafen lag, durfte Anna ihn besuchen. Fuer die damals Zehnjährige war das immer ein Erlebnis; manchmal nahm sie die Freundin mit.

Um in den Neuen Hafen zu kommen, mussten die Kinder am Zollhäuschen  in der Schleusenstraße vorbei. Hinter den Häusern westlich der Kaiserstraße verlief die Zollgrenze, gekennzeichnet durch eine Mauer oder auch durch einen Zaun, der an bestimmten Stellen geöffnet war, wie zum Beispiel an der Schleusenstraße.

Anna hatte mächtigen Respekt vor dem Zollbeamten, der nur selten gute Laune hatte. Wenn er schlief, war er am freundlichsten.

Annas Onkel hatte immer etwas Süßes für sie mitgebracht, hin und wieder sogar mal einen Kasten Pralinen. Und so war die Angst der Kinder groß, dass der unfreundliche Zollbeamte die Pralinen vielleicht verzollen oder gar beschlagnehmen könnte.

Was lag also näher, als sie vor Ort zu verzehren! Also saßen die Freundinnen auf bremischem Gebiet und freuten sich über so viele schöne Pralinen. Nun, mit dem Geschenk im Magen, gingen die beiden selbstsicher durch die Kontrollstelle nah Hause in die Kaiserstrasse.

Die unangenehmen Folgen dieser Vorsorge stellten sich dann Stunden später zu Hause ein…..

 

 

Die Verwechslung oder “Bratkartoffel”

In der Kaiserstraße wohnten zu allen Zeiten hübsche Mädchen, und die Jungen wagten sich sogar aus Geestemünde über die Geestebrücke, um ihre Aufwartung zu machen.

So geschah es, dass Heinz seinen Freund Walter um eine Gefälligkeit bat: Da war doch dieses Mädchen in der Kaiserstraße Nr. 9. Schmid war ihr Name. Ob er nicht mal so nett wäre und ihr von ihm hin und wieder einen Zettel mit einer Nachricht in den Briefkasten stecken könnte? Walter war über diese Bitte nicht sehr erfreut. Drei Etagen hoch wohnte die Angebetete, und da musste man schon ganz schön rennen, um nicht erwischt zu werden. Heinz erhöhte den Einsatz für den Gefallen, und Walter überlegte sich die Sache noch einmal. Man wurde sich einig, und dann ging es los.

„Dritte Etage links!“ wurde ihm noch mit auf den Weg gegeben. Beim ersten Mal begleitete ihn noch schreckliches Herzklopfen während des Rauf- und Runterrennens im Treppenhaus. Schmid, dritte Etage links, und nichts wie weg! Die Angst geschnappt zu werden, saß tief. Wie peinlich! Also immer schnell rauf, schnell wieder runter und dann, als sei nichts geschehen, auf der Kaiserstraße spazieren gehen…..

Wochen vergingen, und Heinz wartete immer noch auf ein Zeichen von seiner Angebeteten. Nichts tat sich, weder ein Blick noch ein Brief, und so beschließt man, das Briefeschreiben aufzugeben und die ehemals Angebetete nach dem Geruch des Treppenhauses zu benennen: „Bratkartoffel“. „Bratkartoffel“ war schon längst vergessen, als Walter später einmal von seiner Mutter zu den Freunden in der Kaiserstraße Nr. 11 mitgenommen wurde. Die Freunde der Mutter wohnten hoch, und man musste an der dritten Etage vorbei. Links wohnten Schmids, wer rechts wohnte, wurde nicht mehr wahrgenommen.

Das war der Grund! „Bratkartoffel“ hatte nie einen Brief erhalten! Wochenlang hatte er die Botschaften seines Freundes Heinz in der allgemeinen Aufregung in den Briefschlitz der falschen Familie Schmid geworfen, da sie zwar auch im dritten Stock wohnten, aber leider im Nebenhaus…….

 

 

Keuchhusten oder Omas Gasometer

Ein Beitrag von Ursula Künning

Der Junge hustete, seit Tagen schon, und es wurde immer schlimmer.

Schließlich hatte auch noch Oma ihren Besuch angemeldet. Pünktlich um 15 Uhr stand sie auf der Schwelle. „Wo ist der kleine Süße?“ war ihre erste Frage, und schon spazierte sie ins Kinderzimmer. Das Kind saß im Bett um kämpfte gerade wieder mit einem Hustenanfall. Es quälte sich schrecklich. Oma nahm den Kleinen auf den Arm. „Das ist Keuchhusten!“ verkündete sie, „zu schade das hier kein Gasometer in der Nähe ist, sonst könnten wir einen schönen Spaziergang machen.“

Gasometer!? Ich verstand gar nichts mehr. „Nun stell mal den Kaffee auf den Tisch“, sagte die alte Frau, „und dann werde ich dir schon was erzählen.“

Also schenkte ich den starken Kaffee ein, den Oma so liebte, nahm den Kleinen auf den Schoss, und Oma begann zu erzählen:“ Nachdem ich aus der Volksschule entlassen war, als ganz junges Mädchen, nahm ich eine Stelle als Dienstmädchen bei einer Beamtenfamilie in der Kaiserstrasse an.

Vier Kinder hatte die Leute, drei Jungen- ein Bengel frecher als der andere – und ein kleines Mädchen; das hatte ich ins Herz geschlossen.

Eines Tages wurde die Kleine sehr krank, sie hustete sich fast die Seele aus dem Leib. „Keuchhusten!“ stellte der Doktor fest, „da helfen nur frische Luft und Spaziergänge um den Gasometer. Die entweichenden Gase wirken sich beruhigend auf die Atemwege aus und haben sich schon bei anderen Kindern bestens bewährt.“

„Zu Spaziergängen habe ich keine Zeit!“ meinte die gnädige Frau. Zu mir gewandt sagte sie:“ Frieda, das wird ihre Aufgabe sein.“

Oh wie glücklich war ich, den frechen Bengeln und dem Kartoffelschälen zu entrinnen. Also packte ich die Kleine warm ein, setzte sie in den Kinderwagen und spazierte hinunter zum Cecilienplatz, wo der Gasometer stand. Heute heißt der Platz Bürgermeister-Martin-Donandt-Platz, und anstelle des Gasometers steht jetzt eine Kindertagesstätte dort.

Als ich beim Gasometer ankam, staunte ich nicht schlecht. Rund um ihn herum herrschte, trotz Bremerhavener Nieselwetters, ein üppiger Verkehr: junge Mädchen mit Zöpfen, die wie ich schicke Kinderwagen mit Sprösslingen ihrer Herrschaften ausfuhren, und einfach gekleidete Frauen, die sich selbst um ihren Nachwuchs bemühen mussten.

So schoben sie ihre Kreise um den Gasometer, und aus manchem Kinderwagen klangen jämmerliche  Hustentöne.

„So war das damals“, sagte Oma, „aber den Gasometer gibt es ja nicht mehr, und dem Keuchhusten kommt man heute ja wohl anders bei.“

„Genau“, bekräftigte ich, “gleich morgen gehe ich mit dem Jungen zum Kinderarzt und lasse mir ein Rezept verschreiben!“